Die Mystik der Karseen – Podcast #9
Alexander Tauscher vom Reisepodcast "Radioreise" führt uns auditiv in den tiefen Schwarzwald und spricht in dieser Episode mit Willi Seid. Der Wanderführer kennt jeden Stein rund um Baiersbronn. Jetzt reinhören!
Der Schwarzwald ist... nur Wald? Von wegen! Das beweist wohl die Murgleiter. Der Mehr-Etappen-Wanderweg folgt dem Flusslauf der Murg auf 110 Kilometern durch das schöne Murgtal im Nordschwarzwald. Schmucke Fachwerkdörfer, weite Wiesen, beeindruckende Felsformationen, Ausblicke bis nach Frankreich und Wälder in allen Grüntönen bilden die Kulisse für eine wunderschöne Mehrtageswanderung. Entweder geht man die Murgleiter klassisch in fünf Tagen oder, wie ich: Freestyle mit individuell zusammengestellten Etappen und Abschnitten mit Bus und Bahn.
In Gernsbach steige ich aus der Bahn und beginne nach einem Besuch in der Touristeninformation sofort meine Wanderung. Natürlich mache ich hier und da einen Abstecher durch das kleine Städtchen an der Murg, denn mit seinen bunten Fachwerkhäusern ist Gernsbach durchaus sehenswert. An der Brücke über die Murg sehe ich das erste der vielen Wanderschilder, die mir für die nächsten Tage den Weg weisen werden: ein weißes, etwa sieben mal vier Zentimeter großes Schild mit einer waagerechten Raute, in der ein unterstrichenes M zu sehen ist – das Symbol der Murgleiter.
In wenigen Minuten bin ich raus aus der Stadt und mitten im Grünen. Über Waldwege mit Bachläufen wandere ich zum Merkur, einem 668,3 Meter hohen Berg im Nordschwarzwald. Der Aussichtsturm sorgt für ein paar zusätzliche Höhenmeter. Mitte des 19. Jahrhunderts als Sendeturm erbaut, steht der Turm heute Wanderern, Radfahrern und anderen Gästen offen, um die Aussicht über den Schwarzwald, die Rheinebene und die Stadt Baden-Baden zu genießen. Anschließend wandere ich auf dem Zickzackweg ins Tal bis nach Ebersteinburg. Nachher werde ich von hier mit dem Bus zurückfahren, aber zuerst mache ich noch einen Abstecher zur Wolfsschlucht. Ein kleiner Bach fließt zwischen imposanten Felsformationen aus verschiedenen Gesteinsarten. Eine Holzbrücke führt auf die andere Seite des Baches: Hier führt die Murgleiter weiter nach Gaggenau. Doch ich drehe um, denn es ist schon früh am Abend und der Bus nach Gernsbach fährt in wenigen Minuten ab. In den nächsten Tagen wird es ohnehin noch viele weitere Highlights auf meiner Mehrtageswanderung auf der Murgleiter geben.
Frühmorgens am nächsten Tag beginnt meine zweite Etappe gleich mit einem Anstieg. Am Denkmal am Rumpelstein werfe ich einen letzten Blick auf den historischen Ortskern von Gernsbach, durch den sich die Murg wie ein blaues Band schlängelt. Kleine verschlungene Pfade führen mich nordwärts. Ab und zu öffnet sich der Wald auf der linken Seite und ermöglicht mir einen Blick auf die Schwarzwälder Berge. Dann höre ich plötzlich ein Rascheln im Wald. Ich bleibe stehen, spitze die Ohren und schaue aufmerksam in die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Und dann sehe ich sie: eine Rehmutter mit ihrem Kitz. Das kleine Tier trinkt von seiner Mutter und gibt dabei quietschende Geräusche von sich. Völlig gebannt von diesem Moment schaue ich noch eine Weile zu und gehe dann leise weiter, um die beiden nicht zu stören.
Wenig später komme ich an Schloss Eberstein vorbei. Es war ursprünglich eine Burg der Grafen von Eberstein, heute dient Schloss Eberstein als Hotel, Restaurant, Weingut und Privatresidenz. Hinter dem Schloss sind die zahlreichen Rebenreihen mit bunten Rosen dazwischen zu sehen. Noch weiter in Richtung Tal sehe ich den Ort Obertsrot, zu dem ich hinabsteige. Dort überquere ich die Murg. Auf der anderen Seite des Flusses führt mich der Jagdpfad hinauf zur Elsbethhütte, einem kleinen Pavillon auf Felsen mit schöner Aussicht. Apropos schöne Aussicht: Ein paar hundert Meter weiter erreiche ich die Rockertfelsen und die Dachsfelsen. Diese Felsformationen sind Naturdenkmäler und bieten tolle Ausblicke auf den Nordschwarzwald, das Murgtal und die Rheinebene. Perfekte Pausenplätzchen für Wanderer!
Vom Dachsfelsen aus ist mein heutiges Wanderziel schon in Sichtweite: Reichental. Als ich nach einer Stunde dort ankomme, stellt sich heraus, dass es ein niedliches Fachwerkdorf ist. Zum Glück habe ich noch etwas Zeit, um durch die engen Gassen zu schlendern, bevor ich mit Bus und S-Bahn nach Forbach fahre – dank der KONUS-Gästekarte sogar kostenfrei. Im Hotel am Mühlbach werde ich von der Familie Kuznecov herzlich empfangen, die eine Stunde später selbst kocht und ein leckeres Drei-Gänge-Menü zaubert. Mit dem Rauschen des plätschernden Baches neben dem Hotel in den Ohren schlafe ich früh ein.
Nach dem Frühstück steige ich wieder in die Bahn und beginne meine heutige Wanderung in Schwarzenberg. Auch heute geht es wieder steil bergauf, aber ich merke es kaum, denn im Wald erlebe ich ein wahres Vogelkonzert. Aus allen Ecken höre ich sie zwitschern, pfeifen, tschilpen und singen. Nach den ersten Kilometern über Waldwege betrete ich den Nationalpark Schwarzwald, der 2014 als erster Nationalpark in Baden-Württemberg gegründet wurde und damit noch sehr jung ist. Die Natur selbst ist es natürlich nicht, aber dazu wird mir der Ranger morgen mehr erzählen.
Ich erreiche den Huzenbacher See, einen idyllischen, im Wald versteckten See. Er wurde zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert genutzt, um künstliche Hochwasserwellen zu erzeugen, damit die Schiffer ihren Holzhandel transportieren konnten. Über den See werden übrigens viele Legenden und Sagen erzählt: von einem Mann, der beim Weidenschneiden plötzlich einen gedeckten Tisch im See sah, bis hin zu einer bösen Frau, die kleine Jungen verspeiste. Ich gehe ein Stück am Ufer des trüben, mit Seerosen bedeckten Sees entlang und nehme dann einen schmalen Pfad bergauf. Ab hier werden die Wanderwege wilder; manchmal erinnern sie mich sogar ein wenig an alpine Pfade.
Oben geht es nach einer kurzen Pause auf einer Liegebank mit Blick auf den See wieder bergab. Hier folgt die Murgleiter weitgehend dem Tonbach, der bei Baiersbronn in die Murg mündet. Dieser Bach wurde im 17. Jahrhundert für den Holztransport ausgebaut. An einigen Stellen entlang des Gewässers sind noch Überreste aus dieser Zeit vorhanden, wie zum Beispiel auf der Tonbachwiese, wo ein Floß zu sehen ist. Von hier aus wandere ich noch ein paar Kilometer durch Wiesen und Wald nach Baiersbronn, meinem heutigen Wanderziel. Mit Trittsteinen überquere ich heute ein letztes Mal die Murg. Baiersbronn ist nicht nur für ihre fantastischen Wandermöglichkeiten bekannt, sondern auch für gutes Essen. Die Stadt im Schwarzwald beherbergt nicht weniger als drei Michelin-Sterne-Restaurants. Aber auch in den vielen anderen gastronomischen Betrieben kann man lecker essen. Manchmal traditionell, manchmal modern und manchmal... ein bisschen von beidem. Meine rosa und veganen Maultaschen in der Mühlbachstube sind dafür ein gutes Beispiel.
Ein letztes Mal packe ich meinen Wanderrucksack für die Murgleiter. An meinem vierten Wandertag im Murgtal führt mich die Route zum wörtlichen Höhepunkt der Wanderung: dem Schliffkopf. An der Bushaltestelle in Buhlbach treffe ich Ranger Lukas Schmidt. Zusammen mit einer Kollegin hat er bereits am frühen Morgen eine Tour zu beliebten, aber verbotenen Wildzeltplätzen gemacht. „Wildcampen ist bei uns auf den Trekkingcamps, Holzplattformen mitten im Nationalpark Schwarzwald, möglich“, erklärt mir Lukas. „Diese haben wir extra so ausgewählt, dass die Natur nicht gestört wird. An allen anderen Orten ist es verboten.“ Als wir gemeinsam auf der Murgleiter wandern, erklärt er, warum: „Die Natur ist das Zuhause der Tiere. Tagsüber nutzen wir sie gerne zum Wandern und Radfahren. Die Tiere meiden dann die Wege. Aber sie brauchen ihre Ruhe, deshalb hat man nachts hier nichts verloren.“ Kontrollieren, ob sich die Leute an die Regeln halten, ist nur eine von Lukas' Aufgaben. Im Rahmen des Naturschutzes ist er auch für das Monitoring verschiedener Arten und die Aufklärung durch Vorträge und Exkursionen zuständig.
Unterwegs sehen wir immer wieder tote Bäume. Lukas erklärt mir, dass im Nationalpark Schwarzwald die Natur freien Lauf hat und sie dadurch wieder wilder wird. Umgefallene Bäume werden deshalb nicht entfernt. „In einem gesunden Wald sollte ohnehin ein Drittel des Holzes tot sein“, erzählt Lukas, „denn totes Holz ist eigentlich voller Leben. Es ist zum Beispiel die neue Wohnung für Pilze oder den Dreizehenspecht.“ Die Zeit vergeht wie im Flug und bald sind wir am Schliffkopf angekommen. Während ich in den letzten Tagen viel durch den Wald gewandert bin, treffen wir hier auf eine fast baumlose, feuchte Heidelandschaft mit kleinen Sträuchern. „Das ist die sogenannte Grindenlandschaft“, erklärt Lukas, „Durch das große Bevölkerungswachstum im 14. Jahrhundert gab es im Tal keinen Platz mehr für das Vieh. Deshalb wurde es in die höheren Lagen getrieben, damit die Tiere hier weiden konnten.“ Die Folge: nährstoffarme Böden, die aufgrund der hohen Niederschläge teilweise auch zu Mooren wurden. Diese Landschaftsform ist einzigartig für den Nordschwarzwald. Und weil es nur wenige Bäume gibt, hat man vom Schliffkopf aus eine tolle Aussicht. Hinter den Schwarzwälder Bergen und der Rheinebene kann man sogar die Vogesen erkennen. Ein würdiger Endpunkt für meine Mehrtageswanderung auf der Murgleiter.
Janna Kamphof hat ihre Wurzeln an der niederländischen Küste und ein Herz für das (Mittel)Gebirge. Sie arbeitet als Content Creator, Outdoorbloggerin und Journalistin. Über ihre Erlebenisse in der Natur und nachhaltiges Reisen in Deutschland schreibt sie auf ihrem niederländischen Blog Duitsland Actief.
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