Ab in den Wald

Eine Nacht im Wald

Im Camp Gutellbach und in fünf weiteren Camps rund um Baiersbronn kann man an geheimen Plätzen ganz offiziell im Wald übernachten. Ein 21-Stunden-Protokoll des Micro-Adventures.

von Tassilo Pritzl
Mo. 22. Oktober 2018 8

Und dann geht‘s los, bepackt mit großen Rucksäcken, in denen alles drin ist, was wir für die nächsten 21 Stunden außerhalb der Zivilisation brauchen werden. Zelt, Schlafsack und Isomatte, Kocher, Topf und Gaskartusche, Wechselklamotten, Mütze und Regenjacke, Stirnlampe, Erste-Hilfe-Set, Wanderkarte und Taschenmesser, Tüten-Suppen, Brot und Obst, Müsliriegel, Schokolade und zwei Liter Wasser. Es ist 14:30 Uhr. Unser Ziel: Das Trekking Camp Gutellbach, in dem wir die Nacht verbringen wollen. Ein digitaler Spot, irgendwo versteckt im Wald. Die Trekkingcamps passen zum Zeitgeist wie ein gut eingelaufener Wanderstiefel zum Fuß.

Kraft tanken ohne Smartphone

Der Zurück-zur-Natur-Trend zieht immer mehr reizüberflutete Großstädter für kurze Auszeiten zum Auftanken in die Berge und Wälder. Und es ist tatsächlich so: Hier in der Natur merke ich ganz schnell, dass weniger oft mehr ist, dass das Auf-sich-selbst-Reduzieren großen Spaß macht und dass ich ein glücklicherer Mensch bin, wenn ich für zwei Tage mal keine Geißel meines Smartphones bin. Wir starten von Kniebis aus (wo neben Bösellbach, Erdbeerloch, Seibelseckle und Grimbach auch eines der insgesamt sechs Camps ist) und das heißt, wir gehen heute überwiegend bergab, von rund 920 Meter auf 640 Meter Höhe.

"Das Smartphone schickt uns weg vom Hauptweg auf einen kaum erkennbaren Pfad, den einzuschlagen wir nicht im Traum erwogen hätten."

An der Aussichtsplattform „Ellbachseeblick“, die wie ein riesiger Anlegesteg ins Nichts über den Abhang ragt, machen wir einen ersten kurzen Stopp und überblicken die Landschaft, die wir erkunden werden: der dichte und dunkelgrüne Nordschwarzwald mit seinem Nationalpark, auf Augenhöhe die Kronen einiger Fichten am Hang, der Ellbachsee direkt unter uns und, irgendwo dort hinten im Dunst, der Ort Baiersbronn. Über einen felsigen und ziemlich alpin anmutenden Weg wandern wir hinunter zum See, dann über den wild verwachsenen „Abenteuerpfad“ weiter Richtung Mitteltal, vorbei an der „Ellbachtanne“ - ein stolzer, alleinstehender Baum, der 270 Jahre alt und 45 Meter hoch ist, wie ein hölzernes Schild informiert - bis zu einer unscheinbaren Stelle, kurz bevor der Forstweg eine Rechtskurve beschreibt, an der das GPS-Gerät uns sagt, wir sollen schnurstracks in den Wald abzweigen. Am Wegesrand wachsen Waldbrombeeren.

16.20 Uhr: Die „letzte Meile“

Es ist so: Wer sich in einem der Trekking-Camps anmeldet, bezahlt 10 Euro und darf eine Nacht dort verbringen. Um das Camp überhaupt zu finden, bekommt man per Mail die Beschreibung der so genannten „letzten Meile“ samt GPS-Koordinaten und Zahlencode für das Schloss am Toilettenhäuschen zugesandt. Und das ist tatsächlich sinnvoll, wie wir jetzt bemerken. Das Smartphone schickt uns weg vom Hauptweg auf einen kaum erkennbaren Pfad, den einzuschlagen wir nicht im Traum erwogen hätten. Das Licht strahlt schräg durch die Bäume und der Wind rauscht durch die Blätter, der Weg beschreibt eine Rechtskurve und dann sind wir schon da, angekommen im Camp Gutellbach, unserem Waldhotel für heute Nacht. Spätestens jetzt beginnt das Abenteuer, denke ich und mit diesem Gedanken zieht auch eine gewisse Spannung, vielleicht sogar Unbehagen in mir auf - weil mir nun klar wird, dass ich meine Komfortzone für eine Nacht verlassen werde. Aber, hatte ich das nicht so gewollt?

17.10 Uhr: Die Kunst des Zeltaufbaus

Das Camp liegt unter hohen Fichten und Ahornbäumen und besteht aus einer Lagerfeuerstelle, einem Toilettenhäuschen, einer Versorgungskiste und drei Zeltplätzen, die sich durch einen Hackschnitzel-Belag vom Waldboden abzeichnen. Nur ein paar Meter weiter plätschert der „Gute Ellbach“ Richtung Tal und auf einer Lichtung summen Wespen über die Wildblumen. Nochmal ein Stückchen weiter steht die Ellbachhütte, sozusagen das Backup, falls uns nachts ein plötzlicher Sturzregen mitzureißen droht. Immerhin. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf bauen wir das Zelt auf, treten mit den Bergschuhen die Heringe in den Boden, spannen die Seiten mit Schnüren ab und werfen schließlich die aufgeblasenen Isomatten und die Daunenschlafsäcke hinein. Unser Schlafplatz ist fertig und sieht heimelig und gemütlich aus. Und nun wird aus meinem Unbehagen pure Vorfreude.

18.45 Uhr: Gesellschaft zum Abendessen

Und so langsam kommt der Hunger. Als wir das Wasser auf dem Gaskocher erhitzen, hören wir Stimmen aus dem Wald. Erst ganz schwach, dann immer deutlicher und lauter. Wir bekommen Gesellschaft, immerhin sind zwei der drei Zeltplätze noch frei und zwischen Mai und Oktober sind die Plätze gut gebucht. In den sechs Camps hat man nach zwei Saisons bereits 3700 Übernachtungen gezählt. Es sind fünf junge Leute, drei Männer und zwei Frauen aus Bad Säckingen und Karlsruhe. „Wir wollten mal wildcampen gehen“, erzählen sie, während auch sie ihre Zelte aufbauen, „und das ist ja sonst in Deutschland nicht erlaubt.“ Tatsächlich gibt es das Angebot, mitten in der Natur ganz offiziell eine Nacht zu verbringen, nur hier im Schwarzwald und in der Pfalz. Die Camps Bösellach, Seibelseckle und Erdbeerloch liegen sogar im Nationalpark, das ist einzigartig in Deutschland. Wir lernen uns schnell kennen, machen gemeinsam Feuer (alles, was wir dafür brauchen, findet sich in der Holzkiste) und essen, trinken und plaudern. Langsam legt sich die Dunkelheit und die Stille des Waldes über den Zeltplatz und gibt uns ein Gefühl, das sich am ehesten mit Demut beschreiben lässt.

22.00 Uhr: Der Himmel voller Sterne

Zeit, um ins Bett gehen. Aber nicht, ohne zuvor den fantastischen Sternenhimmel zu genießen, der sich zwischen den Baumwipfeln über uns aufspannt. Ich lege den Kopf in den Nacken und starre in die Höhe, lasse meine Gedanken schweifen und denke mir, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort bin. Und ich bin erstaunt darüber, wie schnell ich hier im Wald wieder ein Gefühl für die Schönheit der Natur entwickle – sei es die Strahlkraft der Milchstraße, den Geruch des Moosbodens oder das Flatter-Geräusch der Fledermäuse.

7.30 Uhr: Waldbaden

Wir brauchen keinen Wecker, denn das übernimmt der Sound der Wildnis. Um halb acht kriechen wir aus dem Zelt, der ganze Wald scheint zu surren und zu knistern. Wir machen wieder ein Feuer, kochen Tee und Kaffee und sitzen, die dampfenden Alutassen umklammernd, da und starren in die Flammen. Den ganzen Achtsamkeit- und Natur-Entdecken-Trend, denke ich mir, kann man sich sparen, wenn ich nur eine Nacht im Wald übernachte und einen Morgen wie diesen erlebe und genieße. Und: Wer braucht schon Waldbaden, wenn es Trekking-Camps gibt und ich Farben, Geruch und Geräusche bei einer Tasse Kaffee genießen kann?

9.40 Uhr: Zurück in die Zivilisation

Wir packen zusammen, hinterlassen alles so, wie wir es vorgefunden haben und verabschieden uns von den fünf Mitabenteurern und diesem „Secret Spot“ im Wald. Zum Abschluss blättere ich noch im Gästebuch und verewige uns dort auch. „Danke für die schöne Alternative“, ist da zu lesen. Und: „War einfach spitze.“ Und auf der nächsten Seite ist eine Kinderzeichnung samt Erklärung: „Mama schleft mit kleina Schwesta“ „Waren baden“. „Jetzt lassen wir uns den Rotwein schmecken.“ Ich schreibe nur rein: „Großartige Erfahrung. Genau richtig!“ Und dann geht es auch schon wieder zurück, zurück in die Zivilisation, die sich gerade sehr weit entfernt anfühlt. Welcher Wochentag ist heute nochmal? Wo ist der Autoschlüssel? Und das Handy? Hatten wir das überhaupt dabei? Zurück wandern wir bergauf, nun nicht über den „Abenteuerpfad“, sondern auf der „Naturgewalten“-Tour Richtung Kniebis. Wir würden am liebsten dort gleich die nächste Nacht im Camp verbringen, nur um morgen zum nächsten weiter zu wandern… Doch nach knapp zwei Stunden Wanderung sind wir zurück am Auto, saugen noch einmal die klare Luft in die Lungen und kehren, 21 Stunden, nachdem wir von hier aufgebrochen waren, wie ausgewechselt und ziemlich entspannt zurück in den so genannten Alltag.

In der Wildnis übernachten

Die Trekking Camps rund um Baiersbronn

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Info & Buchung

In sechs Trekking Camps ist das Übernachten im Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und im Nationalpark Schwarzwald von Mai bis Oktober offiziell erlaubt. Alle Trekking Camps liegen abseits der Ortschaften, sind nur zu Fuß erreichbar und verfügen über Stellplätze für bis zu drei Zelte, eine Feuerstelle und ein kleines Toilettenhäuschen. Mehr nicht. Wasser und Verpflegung müssen die Trekker selbst mitbringen, den Müll wieder mitnehmen. Wer dort übernachten möchte, meldet sich vorab über eine Online-Plattform an und bucht einen Platz. Zehn Euro kostet die Übernachtung im Zelt pro Nacht, maximal drei Personen je Zelt sind erlaubt.

Mehr Informationen und Buchung unter www.naturparkschwarzwald.de

Tassilo  Pritzl
Tassilo Pritzl

Tassilo Pritzl ist ein echter Outdoor-Mensch mit besonderen Vorlieben für unerkundete Wege – und musikalische Lagerfeuerabende. Als ausgebildeter Journalist arbeitet er in einer Münchner PR-Agentur. Für eine Nacht im Schwarzwald hat er seinen geliebten bayerischen Alpen kurzzeitig den Rücken gekehrt und ist mit Rucksack und Zelt in den Schwarzwald gereist.

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